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1 Jahr Bewertung der Hummelsbütteler Feldmark

Einleitungstext zu dem Gutachten von Dipl -Ing Micha Dudek

Tierökologe, Buchautor, Gutachter

Tierökologisches Fachgutachten

mit besonderem Schwerpunkt auf bewertungsrelevanten Säugetierarten

Dieses Gutachten wurde vom Verein zur Erhaltung der Hummelsbütteler Feldmark in Auftrag gegeben. Über ein Jahr hat Herr Dudek vor allem die in der Feldmark vorkommenden Säugetierarten beobachtet und katalogisiert. Da er die Feldmark in ihrer Gesamtheit betrachtet hat, schließt sein Gutachten das Vorkommen von Vögeln, Insekten, Pflanzen und die geologische Beschaffenheit mit ein.

 

Rascher Überblick

 

  • Offenen Korridoren wie der Hummelsbütteler Feldmark kommt in Zeiten des Artenschwundes, besonders der Arten mit Bezug zu den Offenlandlebensräumen, eine immense Bedeutung zu. Ihr Rückgang – der Offenlandlebensräume und ihrer Arten – geht nicht nur unvermindert weiter, sondern nimmt exponentiell zu.

 

  • Mit der Hummelsbütteler Feldmark besitzen wir einen solchen wertvollen offenen Raum. Seine Strukturen sind landschafts- und kulturprägend. Darüber hinaus kommen im Randbereich („Speckgürtel“) einer Großstadtmetropole wie Hamburg einem solchen Raum Werte ganz unterschiedlicher Ausrichtung zu wie etwa Klima-, Arten- und Lebensraumschutz im Allgemeinen, oder dem Schutz des Menschen im Speziellen (Ontogenetische Entwicklung, Minderung gesundheitlicher Risiken wie bspw. Borreliose. Landschaft ist ein Resultat von Vernunft – Pandemien können sogar ein Resultat sein von verarmender Biodiversität. Es gibt klar nachgewiesene Zusammenhänge zwischen Abnahme von Kleinsäugern und Zunahme von Borreliose, die von Zecken (Ixodida) übertragbare, durch die Bakterie Borrelia burgdorferi verursachte Infektionskrankheit. Das hängt mit dem sogenannten „Verdünnungseffekt“ zusammen – Viren stehen nur noch wenige Arten als „natürliche“ Wirte zur Verfügung, die aber individuenreich erscheinen.

 

  • Der besondere Wert des Landstriches Hummelsbütteler Feldmark liegt in seiner Stellung als zentrale Achse einer Kombination aus Gehölzbeständen, Wasser und Offenland in der Verknüpfung mit der weiteren Umgebung. Der Feldmark als Landschaftsachse fällt ein hohes Gewicht als kühlende Frisch- und Kaltluftbahn zu – und soll allein aus diesem Grund von jeglicher Bebauung freigehalten werden. Stattdessen soll die Hummelsbütteler Feldmark in den Strategienplan für die Entwicklung der Biodiversiät aufgenommen werden – entsprechend der Behörde für Stadtentwicklung und Umwelt (FHH, BSU), 2012, S.14 (wenngleich es auch nicht immer und überall im Schutz der Landschaft um Artenvielfalt gehen soll, da es auch sehr wertvolle artenarme Standorte gibt).

 

  • Ein weiterer Wert des Gebietes liegt darin, Druck von den übrigen „wertvolleren“ Gebieten zu nehmen wie etwa den aktuell ausgewiesenen Schutzgebieten. Ziel aber kann es nur sein, einen ebensolchen Status und eine ebensolche Qualität zu erreichen.

 

  • Volkswirtschaftlich betrachtet macht der Erhalt und die Verbesserung des Gebietes ebenfalls Sinn, denn ohne viel Aufwand und Kosten wird hier der für die Kindsentwicklung notwendige Freiraum erhalten, der tausendfach mehr wiegt als jeder anthropogen geprägte „Spielplatz“. Hier können Heranwachsende an natürlichen Strukturen aufwachsen und sich „anlehnen“, lernen und erfahren, ja, im sprichwörtlichen Sinn „begreifen“, was freigewachsene, ungekürzte und alte Strukturen bedeuten können.

 

  • Alle auf dem Gebiet der Europäischen Union heimischen Fledermausarten gelten nach dem Anhang IV der FFH-Richtlinie als streng geschützte Tierarten von gemeinschaftlichem Interesse, und gehören außerdem nach § 20 (1) Abs. 7b Bundesnaturschutzgesetz zu den streng geschützten Arten. 13 ausgewählte Fledermausarten sind außerdem im Anhang II der FFH-Richtlinie geführt. Für diese Arten müssen EU-weit spezielle Schutzgebiete ausgewiesen werden. Wenigstens 3 Fledermausarten (Pipistrellus pipistrellus, Nyctalus noctula und Eptesicus serotinus) sind für den Raum Hummelsbütteler Feldmark aktuell nachgewiesen, weitere Arten sind (bei zusätzlicher Förderung) zu erwarten. Fledermäuse leben, jagen und ziehen ihren Nachwuchs in einer möglichst strukturreichen Landschaft aus Waldlandanteilen, Offenland und Gewässern auf.

 

 

 

  • Der Fischotter (Lutra lutra) gehört wieder zum festen Faunenbestandteil Hamburgs. Elbe, Alster und Bille werden wieder bewohnt sowie nahezu alle Seitenarme dieser Hauptströme, so auch die Susebek, die ihren Quellbereich in der Feldmark hat als orographisch rechter Zufluss zur Alster. Die Art unternimmt grundsätzlich lange Landgänge (wie die Totfunde in Jenfeld 2010 durch Micha

DUDEK, am Höltigbaum 2015 durch Danyel WESTERMANN und die Live Beobachtung am 31.03.2017 an der Alster durch DUDEK und WESTERMANN gemeinsam belegen), trotz enger Bindung ans Wasser in semiaquatischer Lebensweise (was aber in der einschlägigen Literatur zu wenig Erwähnung findet). Die Art ist bereits für den Beginn des Verlaufes der Susebek von der Alster aus nachzuweisen, jedoch noch nicht bis ins Zentrum der Hummelsbütteler Feldmark, doch ist sie hier über früh oder lang und bei regelmäßiger Nachsuche ebenfalls zu erwarten.

 

  • Die Hummelsbütteler Feldmark weist aktuell bereits einen hohen Artenverlust auf, so fehlen bereits typische „Wiesenvögel“ wie etwa Kiebitz (Vanellus vanellus) und Bekassine (Gallinago gallinago) außerhalb der eigentlichen verbliebenen Kleinmoorstandorte, die in den vergangenen Jahrzehnten als Brutvogelarten noch existierten (und deren Rückgangsursachen keineswegs zu 100% aufgeklärt sind). Immerhin existierte die Feldlerche (Alauda arvensis) laut Brutvogel-Atlas Hamburg von 2001 noch im Randbereich der Hummelsbütteler Feldmark als einem der letzten Rückzugspunkte für den Nordwesten Hamburgs, sie konnte vom Autor 2019-2020 im Zuge des Gutachtens dort aber nicht mehr beobachtet werden. Die Art kann für die nordwestlichen Randzonen Hamburgs bis in die 1960er- und 1970er-Jahre als typisch bezeichnet werden.

 

  • Im Randbereich vorkommende Arten wie der Gefleckte Aronstab (Arum maculatum) und die Gewöhnliche Pestwurz (Petasites hybridus) geben Aufschluß über die Historie des Standortes Hummelsbütteler Feldmark. Noch kommen Stare mit einem ihrer letzten stabilen Bestände hier vor, die in fast ganz Hamburg rapide Bestandseinbrüche verzeichnen. Haus- (Passer domesticus) und Feldsperlinge (Passer montanus), Rauch- (Hirundo rustica) und Mehlschwalben (Delichon urbicum) kommen hier aufgrund extensiver Beweidung mit Pferden vor, während an anderer Stelle aufwändig und teuer versucht wird, sie zu erhalten und zu fördern. Die Wacholderdrossel (Turdus pilaris) hat hier einer ihrer im Hamburger Gesamtraum seltenen Brutstandorte, die Art ist momentan in Ausbreitung begriffen. Die Knicks und Wege der Hummelsbütteler Feldmark, z.B. entlang des Rehagens, weisen besonders hohe Bestände der Nachtigall (Luscinia megarhynchos) auf, die im übrigen Norden Hamburgs nahezu komplett eingebrochen sind.

 

  • Der Europäische Dachs (Meles meles), der hier dauerhafte und schützenswerte Lebensstätten bewohnt, hat durch die „Glashütter Landstraße“ bereits aufgrund des bísherigen Verkehrsaufkommens zahlreiche Verluste zu verzeichnen, welche sich durch zusätzliche Bebauung steigern würden. Mit einem Vertreter der Gattung Formica kommt am Nordrand des Gebietes eine hoch geschützte Waldameisenart vor.

 

  • Mit Gebieten wie Hüsermoor und Ohlkuhlenmoor (NSG Hummelsbütteler Moore) besitzt die Feldmark besonders wertvolle Kleinode, hier gedeihen u.a.

Beinbrech/Moorlilie (Narthecium ossifragum). In den unmittelbaren Anrainergebieten wie dem NSG Raakmoor wachsen etwa Königsfarn (Osmunda regalis) und Gagelstrauch (Myrica gale). In der unweit gelegenen als Naturdenkmal und Geotop eingestuften Sievertschen Tongrube mit ihren kalkhaltigen Tonböden und dem NSG Wittmoor wachsen entsprechend seltene Vegetationsgesellschaften. Im östlichen Anschluss steht schließlich der ehemalige Müllberg, der heute bewachsen erscheint, mit Hummelsee (als Laichgewässer für Erdkröte Bufo bufo) und Streuobstbestand historisch-wertvoller Sorten.

 

 

  • Im Vergleich mit dem südöstlich der „Krempenhege“ vorgelegenen Korridor des Wohldorfer Waldes, dem aktuell 2020 der Naturschutz in Aussicht gestellt wurde, schneidet die Hummelsbütteler Feldmark deshalb gut ab, weil die Avifauna der Feldmark jetzt schon und noch deutlich artenreicher und hier alle drei Fledermausarten gleichmäßig über sämtliche Teile vertreten sind.

 

  • Grundsätzlich für die Zukunft des Naturschutzes soll gelten, dass eben nicht bloß der Ist-Zustand eines Gebietes oder Bestandes geschützt werden darf, sondern auch der mögliche oder Soll-Zustand (ohne zwingend

„verbesserungspflichtig“ zu sein). Dagegen ist die reine Bemessung einer Landschaft am Störungsgrad kein zukunftsträchtiges Modell. V.a. sollte jetzt nicht noch nach alten Maßstäben Verunstaltung erfahren, was nach späterer Erkenntnis nicht mehr reparabel erscheint.

 

  • Prioritätenschutz respektive Schutzpriorität: Bei sachgerechter Hecken- u. Knickpflege, landwirtschaftlicher Umrüstung auf ökologische Nachhaltigkeit durch

Verzicht auf Spritzmittel und Kunstdünger und Einsatz einer sachgemäßen Extensivbeweidung mit Wildtieren und alten, historisch-wertvollen Haustierrassen sowie vor allem dem kompletten Verzicht einer Bebauung (und nicht bloß Abschwächung) kann schon im ersten Schritt eine drastische Erhöhung der Biodiversität und allgemeine Verbesserung der Lebensqualität schnellst wirksam erreicht werden.

 

  • In der Zeit des drastischen Klimawandels kann Fluren wie der Feldmark eine nochmal besondere Rolle von Rückzug und Ausgleich zukommen, da niemand langfristige Entwicklungen abschätzen kann.

 

  • Sicher ist, dass zum heutigen Zeitpunkt unter dem jetzigen Verhalten beziehungsweise Bildungsgrad der Bevölkerung und ihrer Anzahl Naturschutz notwendig ist – weltweit. Ein Ziel aber kann sein, nein, muss sogar sein, die Bevölkerung auszubilden und zu sensibilisieren für Belange des Umwelt-, Natur-, Arten- und Tierschutzes sowie Schutzprioritäten zu erkennen, um schließlich mehr Flächen unter Schutz zu stellen und einen vielleicht weniger strengen Schutz auf einen Teil von Schutzgebieten anzuwenden. Denn Arten in reinen und isolierten Schutzgebieten mit hoher Priorität können wohl kaum langfristig überleben – wir besitzen keinerlei Langzeitstudien und -erfahrungen, und können dies wohl auch kaum exakt abschätzen, wie sich Arten in solchen isolierten Gebieten langfristig entwickeln (auch wenn in der Vergangenheit Modelle zum Errechnen von Mindestpopulationen etc. gern erstellt wurden).

 

  • Wenn im Vergleich städtische Faunen vermeintlich artenreicher ausfallen als ländliche, so zeigt das nur den schlechten Zustand letzterer, denn der Artenreichtum der Städte ist nicht besonders groß, wie man uns oft versucht zu suggerieren.

 

  • Die gesamte Hummelsbütteler Feldmark gehört uneingeschränkt mit allen ihren Teilen in den Hamburger Biotopverbund, und soll ausgenommen bleiben von jedweder Bebauung. Umwelt und Mensch können sich immer weniger leisten, solche Gebiete einzubüßen.